Erst kam die Erleichterung, dann die Leere. Gute vier Jahre lang war das Ziel ganz klar gewesen: ein eigener, kleiner Selbstversorgerhof. Vielleicht gepachtet, noch lieber gekauft. Irgendwo, wo es günstig war - irgendwas, was günstig war. Ruhe, Abgeschiedenheit, ganz für uns sein, Platz um Freunde einzuladen um gemütliche Abende am Feuer mit Musik und gutem Essen zu verbringen, ...
Der Inhalt wurde vor mehr als einem Jahr erstellt. In der Zwischenzeit ist viel passiert, so dass wir vielleicht heute anderer Meinung sind. Die Informationen entsprechen unserer Meinung und dem Kenntnisstand vom 19.08.2020.
Für unseren Traum, so einen Hof in den französischen Vogesen zu finden, zogen wir in die Schwarzwälder Berge. Nah dran, aber doch noch mit ein wenig alter Sicherheit. Zeit verging, wir fanden und besichtigten und vergaßen wieder. Einmal wurde es ganz knapp. Nach vielen Gesprächen und Plänen und unvergesslichen Wintertragen ohne Strom, aber mit Katzen in diesem alten Haus, scheiterte es schließlich am Menschlichsten des Menschlichen: Angst.
Die Wucht dieses Verlustes, nachdem wir nun einmal so nah dran gewesen waren, war schmerzhaft, doch erkenntnisreich: wir waren abhängig. Unser Wohlbefinden, unser Glück, unsere Lebensträume waren abhängig von etwas, was für uns nicht greifbar gewesen war, wonach wir aber nun vier Jahre gesucht hatten. Wir hatten gewartet, Geduld gezeigt, das Leben auf später verschoben, gespart, gehofft, gebangt. Und standen nun wieder ganz am Anfang.
Nochmal von vorne? Unvorstellbar. Es war Zeit, dass sich etwas veränderte. Unser Leben hatte einmal kräftig Schwung geholt und niemand wusste, ob wir den noch einmal bekommen konnten, würde er jetzt im Nichts verpuffen. Der Traum vom Selbstversorgerhof mit Hofbusiness aus vermieteten Zimmern, Workshops und all den anderen Ideen war offiziell ausgeträumt. Nicht, weil es kein guter Traum gewesen wäre, sondern weil er uns vom Leben abhielt. Egal wie intensiv unsere Bemühungen auch waren, wir kamen immer wieder am selben Punkt heraus. Wir mussten erkennen, dass wenn alles, aber auch wirklich alles davon abhängt, ob eine ganz bestimmte Sache Gestalt annimmt, allein diese Tatsache das Leben nach und nach aushöhlen kann... und ein ausgehöhltes Leben ist ein kaltes Leben, ein trauriges Leben.
Die Erschütterung brachte aber auch etwas anderes zu Tage: dass sich nämlich im Verborgenen längst Entscheidendes verändert hatte. Dass der Wunsch nach einem Garten und Tieren und einem klassischen Selbstversorgerhof fast unbemerkt unterwandert und nach und nach ersetzt worden war.
Denn neben der Suche nach einem Ort und dem ewigen Warten auf endlich mehr Platz, war - zunächst aus der Not heraus - etwas völlig anderes gewachsen. Wenn mich die Begrenztheit unseres kleinen Gartens in Anbetracht der großen, einfach nicht wahr zu machenden Pläne zu erdrücken drohte, war ich auf die Wiesen und Felder und in die Wälder der Umgebung ausgewichen. Hatte ich die Wegränder erkundet und mehr und mehr feststellen dürfen, welche unbekannte Vielfalt ganz von alleine um uns wuchs.
Erst in diesem Moment, als die große Idee, von der ich mittlerweile wusste, dass sie - man mag es bei so einem verrückten Aussteigertraum kaum glauben - mehr eine Kopf- als eine Bauchsache war, dem Einstürzen ganz nahe war, konnte ich mir eingestehen, wie wenig die sie noch mit uns zu tun hatte. Wie lästig mir die Gartenarbeit schon lange war! Dass ich das Gefühl von Erde an den Händen nicht ausstehen konnte und Gartenhandschuhe nur bedingt Abhilfe brachten. Und dass der Zauber davon, durch die Gegend zu streifen und - mal mehr, mal weniger unerwartet - allerlei Wildes zu finden, es nach Hause zu tragen, zuzubereiten und dann Aromen zu erschmecken, die es so (fast) nirgends zu kaufen gibt, die Freude am Garten noch bei Weitem übertraf...
Das Grundbedürfnis war aber immer noch das selbe... ein Leben gestalten, das beides mitbringt: Wald und Internet. Wildes Sammeln und gemütliches Lesen. Arbeit mit den Händen und Philosophie. Wildnis und Kultur.
Und schließlich wurde aus der Idee für die "Ferme de la Culture Sauvage" - dem "Hof der Wilden Kultur" - schlicht WILDE KULTUR.
Wir blieben schließlich im Schwarzwald. Wir waren sowieso längst bis über beide Ohren in diese raue Landschaft verliebt, die so viel mehr war als das, was man auf Postkarten und in Filmen zu sehen bekam. Wir zogen vom nördlichsten Südschwarzwald in den südlichsten Südschwarzwald, nur um festzustellen, wie sehr mir unsere erste Schwarzwaldheimat bald schon wieder fehlte: die Lebendigkeit, die Bücherschränke und sozialen SecondHand-Läden überall, die Märkte, die Cafés,... Zeit verging und wir versuchten dennoch anzukommen. Suchten Anschluss, probierten aus, stellten fest, verwarfen, versuchten neu.
Und während WILDE KULTUR wuchs und von Tag zu Tag mehr zu uns passte, wollte das in anderen Bereichen nicht so recht klappen. Neue Pläne mussten her! Teilweise jedenfalls. Und sie kamen schneller als erwartet...
Bevor wir in den Schwarzwald zogen, war ich im Bereich der Umweltbildung als Autorin und Dozentin selbständig und Stefan arbeitete als Lehrer für Mathematik und Informatik. WILDE KULTUR ist unser gemeinsames Businessbaby und dennoch war es - vor allem im Alltag - immer ein Stück mehr meins, allein schon weil es für mich die einzige Arbeit, für Stefan aber eine von mehreren war.
Während ich nun im Lauf der Zeit immer zufriedener wurde mit meiner Hauptarbeit, war das für Stefan nicht der Fall. Dass er nun seit mehreren Jahren nicht mehr im Hauptberuf als Lehrer arbeitete, hatte nicht mit ihm zu tun sondern mit dem Schulsystem. Und im Hinterkopf war in all der Zeit immernoch ein "wenn es doch bloß die richtige Schule gäbe..."
Wie es nun genau dazu kam, soll hier nicht weiter von Belang sein, aber kurz gesagt: es wurde immer offensichtlicher, dass sich etwas verändern musste. Auch weil wir uns, innerhalb all der Unwägbarkeiten unseres Lebens abseits der Norm und nicht zuletzt auch in Anbetracht der aktuellen Pandemie, doch ein wenig mehr (finanzielle) Sicherheit wünschten. Diesen Sommer fanden wir nun tatsächlich eine Schule, mit der wir es versuchen wollen.
Wir werden Richtung Norden ziehen, etwas nördlicher sogar noch als unser altes Zuhause, in den Mittleren Schwarzwald in die Nähe von Offenburg. Das Einzige, was uns aktuell noch fehlt für dieses dritte Schwarzwaldabenteuer ist ein kleines Haus zur Miete, möglichst abgelegen und ruhig, mit Garten und Werkstatt und schnellem Internet.
Vielleicht was ja jemand was? Kennt jemand jemanden? Hat jemand einen Tipp?
Pläne - Verlust - Verwirrung - Neuorientierung; kurz: Leben. In letzter Zeit beschäftige ich mich viel mit der Philosophie des Stoizismus. "Amor fati" - die Liebe zum Schicksal, heißt: annehmen was ist. Das ist nicht zu verwechseln mit einer passiven Haltung gegenüber der Welt und dem Geschehen um einen herum. Viel mehr geht es darum, sich sehr bewusst zu machen, worauf wir einen Einfluss haben und worauf nicht. Im einen Bereich zu handeln - und für den anderen das Akzeptieren zu lernen.
Es liegt oft viel zu nahe, sich über die Vergangenheit zu ärgern. Hätten wir das alles nicht schon viel früher wissen können? Was hätten wir uns an Zeit und Ärger erspart! Wozu der Umweg?
...
Wozu? Weil es manchmal notwendig ist, auf einen "falschen" Hügel zu klettern, um von dort in der Ferne das Ziel und den Weg besser sehen zu können...
19.08.2020